Josh Niland Fischkoch Revolution Trend Interview Besuch vor Ort
Niland hat mit seinem Nose-to-Fin-Konzept die Fischküchen der Welt verändert.
Rob Palmer

Man könnte diesen Text mit so vielen Szenen beginnen: als Josh Niland als Kind an Krebs erkrankte und so das Kochen entdeckte (das schreit geradezu nach einer Folge von Chef’s Table auf Netflix, oder?). Als seine Schwester dereinst beinahe an einer verschluckten Gräte gestorben wäre. Oder als eine Unachtsamkeit in der Küche zu einem der angesagtesten Foodtrends der Fischküche führte.

Vielleicht fangen wir aber lieber anders an. Herr Niland, wissen Sie, dass Sie sogar in Österreich Vorbilder haben? Nein, das wusste er nicht. Eine Stunde vor Servicebeginn empfängt uns der Chefkoch in seinem Restaurant Saint Peter im Sydneyer Stadtviertel Paddington. Ziegelwände, ein schmaler, langgezogener Raum mit einer Theke, an der zwanzig Gäste Platz finden. Er wirkt entspannt, jungenhaft, jünger jedenfalls als 35, und auch die vierfache Vaterschaft scheint gut vereinbar mit seinem fordernden Job.

Josh Niland Fischkoch Revolution Trend Interview Besuch vor Ort
Josh Niland, der Fischrevoluzzer, in seinem Lokal Saint Peter in Sydney.
Rob Palmer

In Österreich war er leider noch nie. Welche Vorbilder wir denn meinen? Stefan Doubek, der in der Umar-Fischbar am Wiener Naschmarkt durch Dry-Aging-Experimente Furore machte und in dessen nach ihm benannten Fine-Dining-Lokal zum Beispiel gereifter Hamachi mit Bärlauchöl und XO-Sauce auf der Karte steht. Oder der vom Gault-Millau als bester Koch des Landes ausgezeichnete Lukas Nagl, der mit dem, was der Traunsee ihm gibt, Maßstäbe setzt in Sachen Fischrundumverarbeitung.

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Josh Nilands die Koryphäe in Sachen Fisch schlechthin ist. Seine Grundlagenwerke Der ganze Fisch und Man nehme einen Fisch genießen einen ähnlichen Kultstatus wie das Werk Noma Guide to Fermentation aus dem weltberühmten Spitzenlokal Noma in Kopenhagen. Bei Niland geht es um eine Art kontrolliertes Verrotten, beschränkt allerdings auf eine einzige Lebensmittelgruppe. Niland lässt Fisch auf eine Art reifen, die vorher Fleisch vorbehalten war. Davon abgesehen verarbeitet er jene Teile, die gemeinhin im Müll landen: Herz, Milz, Niere, Fischmilch.

Fragiler Fisch

Geboren wurde Niland 1988 im australischen Maitland. Die Liebe zum Essen entstand schon als Kind, während einer Tumorerkrankung. Die Faszination für Fisch hingegen kristallisierte sich erst in seinen Anfangsjahren als Koch heraus. "Mich hat die Herausforderung gereizt. Fisch ist ein so fragiles Produkt. Lässt man es eine Sekunde aus den Augen, ist es ruiniert." Das gilt freilich nicht für das, womit Niland so richtig bekannt wurde, aus reinem Zufall.

"Eines Abends vergaß ich, einen Fisch in Frischhaltefolie zu packen, weswegen er über Nacht durch den Kühlschrankventilator austrocknete. Als ich ihn am nächsten Tag in der Pfanne briet, war das Ergebnis umwerfend. Darüber dachte ich in den folgenden Jahren viel nach. Irgendwann habe ich den Fisch dann in einem null Grad kalten Raum ohne Belüftung aufgehängt und gemerkt, dass er heute ganz anders schmeckt als gestern oder vor sieben Tagen." Wobei dem Australier wichtig ist zu betonen, dass andere Kulturen schon lange ihre eigenen Reifetechniken kennen, die japanische oder schwedische etwa.

Das Spiel lässt sich nicht unendlich weit treiben. "Mein persönlicher Rekord liegt bei 56 Tage altem Thunfisch. Das war schon ziemlich extrem. Normalerweise finde ich vierzehn bis zwanzig Tage perfekt", sagt Niland. Es geht nicht darum, das Tier so lange wie möglich liegen zu lassen, oder zu denken, dass jede Sorte Fisch denselben Gesetzen unterliege. Bestimmte Reifegrade seien je nach Fisch texturlich oder geschmacklich spannender, "das kann am ersten Tag sein oder am einundzwanzigsten".

Der von der renommierten 50-beste-Restaurants-Liste als "Gamechanging Producer" ausgezeichnete Koch will aber keine Heurekamomente in der Trockenreifkammer. "Fisch reifen zu lassen ist eine ernste Angelegenheit. Das kann auch schiefgehen, weswegen ich zur Vorsicht rate." Niland appelliert an die Industrie und setzt ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung. Es kann schließlich nicht sein, dass man sich nur die Premiumteile eines Lebewesens herauspickt und den Rest wegschmeißt, sagt er. In Australien trifft das auf zwei Drittel eines Fischs zu, in Österreich wohl auf noch mehr. Er hingegen verwertet durchschnittlich 90 Prozent.

"Nose to tail" heißt das beim Fleisch, in Sachen Fisch kursieren die Begriffe "fin to fin", also von der Flosse bis zur Schnauze, und "scale to tail", Schuppe bis Schwanz. Niland möchte die Leute ermutigen, sich einen Fischhändler oder eine ­-händ­lerin seines Vertrauens zu suchen: "Fragen Sie ihn oder sie: Was haben Sie heute geliefert bekommen? Was würden Sie daraus kochen? Die meisten werden gerne Auskunft geben und Ihnen die Ware so vorbereiten, dass sie zu Ihrem Geschmack und den Voraussetzungen in der Küche passt." Nachhaltiger Fischkonsum bedeutet für ihn dreierlei: sich darüber informieren, wie die Tiere gefangen wurden; nur das kaufen, was Saison hat; und den Abfall auf ein Minimum reduzieren, auch, indem man nicht mehr kauft, als man braucht.

Kein Wasser für den Fisch

Wenige Meter vom 2016 eröffneten Restaurant Saint Peter befindet sich die Fish Butchery. Drinnen sieht es aus wie in einer hippen Metzgerei, bloß dass kein Rinderhack in der Theke liegt, sondern Schwertfisch-Saltimbocca, Fischkuchen, Forellen-Merguez, Wolfsbarschleber-Spieße und Jakobsmuschel-Würstchen. Einiges davon bekommen auch die Gäste des Saint Peter zu Beginn des achtgängigen Menüs serviert. Auf dem aus Fischknochen hergestellten Teller liegen Gelbflossenthunfisch-Salami, Thunfisch-Nduja, Schinken von der Großkopfmeeräsche, Schwertfischspeck.

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Von Kopf bis Flosse versucht Niland den ganzen Fisch zu verarbeiten.
Rob Palmer

Verblüffend, wie nah das teilweise dem Original kommt, und ein Beweis, dass es bei tierischem Protein oft vor allem um Textur und Gewürz geht. So eine Fischmetzgerei ist jedenfalls eine Marktlücke, die hierzulande noch ihrer Füllung harrt. Zu Nilands Imperium gehören ein Take-away-Imbiss und ein weiteres À-la-Carte-Restaurant in Sydney sowie ein Ende vergangenen Jahres eröffnetes Restaurant in Singapur.

Wer es weder nach Singapur noch Australien schafft, legt vielleicht doch zu Hause Hand an. Eine der wichtigsten Regeln des Fischkochs lautet, dass der Fisch nach seinem Ableben nicht mehr mit Wasser in Berührung kommen soll. "Sie brauchen ihn nicht zu waschen, nicht mal mit einem feuchten Tuch abzutupfen. Lassen Sie ihn vom Händler Ihres Vertrauens so vorbereiten, wie es Ihnen lieb ist – er soll nur nicht mit Wasser in Berührung kommen. Indem Sie ihn trocken verarbeiten, werden Sie viel mehr Freude an ihm haben. Und machen Sie sich um den 'fischigen' Geruch keine Sorgen, es wird keinen geben", sagt Niland.

Butter, Garum, Fisch

Kurz vor 18 Uhr, die ersten Gäste warten vor der Tür, energetischer Jazz setzt ein. Wie steht es um die Essensvorlieben seiner vier zwischen zwei und zehn Jahre alten Kinder? "Alle lieben Fisch." Das deckt sich mit dem, was Lukas Nagl über seinen Nachwuchs erzählt, und dürfte jenen Hoffnung geben, die am Nudel-mit-Sauce-Fanatismus der Kleinsten verzweifeln. Er selbst isst bloß etwa einmal die Woche Fisch. Nicht weil er nicht öfter Lust darauf hat, sondern weil ihm die Zeit fehlt.

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Niland kocht auch Süßes mit Fisch.
Rob Palmer

Zu Hause kocht er so gut wie gar nicht. Und was ist sein Lieblingsgericht? "Die Salz-und-Essig-Makrele, die nachher im Menü serviert wird. Eine dicke Scheibe Sauerteigbrot wird mit Butter bestrichen und in eine Mischung aus Olivenöl und -lake und Makrelen-Garum, also in eine auf Fischresten basierende Würzsauce, getunkt und dann mit gesalzenen in Champagneressig marinierten Makrelen belegt. Ein ziemlich europäisches Gericht, finde ich." Und ein dank der Kombination aus fettem Fisch, gereifter Butter, salzigem Garum und der grasigen Säure des Öls wirklich verdammt köstliches.

Ganz im Gegensatz zu dem mit Algen verfeinerten Brandteigtörtchen, gefüllt mit einer Eiscreme aus Fischaugen. Das schmeckt jodig, leicht bitter und, nun ja, fischig. Nicht lecker im herkömmlichen Sinn, aber sicher etwas, an das man sich lange erinnern wird. Wer jetzt experimentierfreudig geworden ist: In Nilands erstem Kochbuch finden sich Rezepte für Cheesecake mit Fischrogenkeksen und Schokoladenkuchen mit Fischfett-Salzkaramell.

Es gäbe einige Anekdoten, mit denen dieser Text enden könnte. Nehmen wir doch diese: Josh Niland hasst Angeln. "Als Kind habe ich das einige Male mit meinen Eltern gemacht, dabei wird mir auf dem Wasser schnell schlecht. Ich verspüre absolut keinen Drang danach." (Eva Biringer, 25.4.2024)

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60 Rezepte und Anleitungen, wie man einen Fisch vom Kopf bis zur Schwanzflosse komplett verarbeitet, vom Filetieren, Räuchern, Pökeln und Trockenreifen. "Der ganze Fisch" von Josh Niland, 39,90 €, Prestel-Verlag.
Prestel Verlag